Die doppelte Verantwortung von Konservativen im Umgang mit Rechtsextremen

Unter einer rechtsextremen politischen Bewegung kann eine nationalistische und rassistische Bewegung verstanden werden, die auf die Abschaffung oder grundlegende Einschränkung der rechtsstaatlichen Demokratie abzielt (vgl. Verfassungsschutz). Wenn es darum geht, wie eine Machtergreifung durch Rechtsextreme verhindert werden kann, wird unter anderem die Frage nach der Rolle und Verantwortung von Konservativen gestellt. Diese Debatte ist auch historisch motiviert, da Konservative einst dem Rechtsextremisten Adolf Hitler zur Macht verhalfen. In diesem Beitrag beschreibe ich, dass und warum Konservative beim Umgang mit Rechtsextremen (unter anderem) eine doppelte Verantwortung haben: einerseits Abgrenzung von rechtsextremer Politik; andererseits Entwicklung von Lösungen für die Probleme der Menschen mit Hilfe von rechtsstaatlich-demokratischen konservativen Positionen.

Hintergrund: Wachsende Zustimmung für Rechtsextreme

Weltweit gibt es Fälle, in denen rechtspopulistische, rechtsradikale und rechtsextreme politische Kräfte an Zustimmung gewinnen. In Deutschland drückt sich diese Tendenz vor allem dadurch aus, dass die AfD – eine rechte, rechtspopulistische, rechtsradikale und in Teilen rechtsextreme Partei – in den letzten Jahren an Zustimmung gewonnen hat.

Die Bezüge zwischen Teilen der AfD und dem Rechtsextremismus sind in den letzten Jahren in vielen Berichten deutlich geworden. Inzwischen werden drei Landesverbände der AfD (Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen) vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft (Quelle). Der Vorsitzende der Thüringer AfD, Björn Höcke, gilt allgemein als Rechtsextremist. Unter anderem ZEIT Online berichtet, dass Höcke in seinem Buch die pauschale „Remigration“ (d.h. Vertreibung) von Asiaten und Afrikanern aus Deutschland als Ziel formuliert hat (Quelle). Im Kontext seiner erklärten Gedankenwelt – die Politik sei „den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet“ (ebd.), d.h. der Deutschen ohne Migrationshintergrund – muss davon ausgegangen werden, dass Höcke auch deutsche Staatsbürger:innen mit asiatischen oder afrikanischen Wurzeln vertreiben will. Mehrere AfD-Politiker:innen – darunter eine Bundestagsabgeordnete, ein Landtagsabgeordneter und ein damaliger persönlicher Mitarbeiter der Bundesvorsitzenden Weidel – haben nach Recherchen von WDR, NDR und SZ beim rechtsextremen Geheimtreffen von Potsdam in 2023 teilgenommen (Quelle). Verschiedene Medien – darunter ZEIT Online – berichteten, dass ein Bundestagsabgeordneter der AfD derzeit (Stand April 2024) einen rechtsextremen Mitarbeiter beschäftigt, der als Gewalttäter verurteilt wurde (Quelle). Laut „Correctiv“-Recherche soll dieser Mitarbeiter sich bei dem Treffen in Potsdam als „gewaltbereiter Neonazi“ vorgestellt und den Einsatz von Gewalt in seinem politischen Wirken beschrieben haben (Quelle).

Es liegt in der Natur rechtsextremer Politik, dass diese für erhebliche Teile der Bevölkerung (und möglicherweise für die Gesellschaft insgesamt) schädlich, ungerecht und gefährlich ist. Ein historisches Beispiel dafür ist die Nazi-Herrschaft, die unfassbare Verbrechen weltweit und in Deutschland verursachte und das Land an den Rand des Abgrunds führte. In der heutigen Zeit bestünde ein Problem rechtsextremer Machtergreifung unter anderem auch darin, dass die (von Rechtsextremen gewünschte) Einschränkung der Rechte von erheblichen Bevölkerungsteilen zu massiven gesellschaftlichen Spannungen und Kämpfen – möglicherweise bis hin zum Bürgerkrieg – führen würde. Zugleich würde die Reputation Deutschlands und die Fähigkeit, geeignete Fachkräfte anzuziehen bzw. zu halten, in der globalisierten Welt vermutlich massiv zurückgehen.

Erste Verantwortung: Abgrenzung von rechtsextremer Politik

Da Konservative (im Spektrum der rechtsstaatlich-demokratischen Parteien) eher rechts angesiedelt sind, stellt sich vor allem bei ihnen die Frage nach der Zusammenarbeit mit Rechtsextremen. Durch eine solche Zusammenarbeit – zum Beispiel in Form einer Koalition – erhalten Rechtsextreme politische Macht und können ihre Positionen (oder Teile davon) umsetzen. Deshalb sollte die Zusammenarbeit mit Rechtsextremen vermieden bzw. dabei mit äußerster Vorsicht vorgegangen werden, und zwar so, dass rechtsextreme Politik möglichst nicht umgesetzt wird. Insbesondere eine Koalition mit Rechtsextremen sollte daher vermieden werden.

Neben der Vermeidung von Zusammenarbeit ist eine weitere Form der Abgrenzung entscheidend: Konservative sollten vermeiden, rechtsextreme Positionen selbst zu übernehmen. Im Kampf um politische Zustimmung kann eine Versuchung entstehen, Teile der Programmatik oder Rhetorik von Rechtsextremen zu übernehmen, um deren Wählerstimmen zu gewinnen. Es ist umstritten, wie erfolgreich ein solches Vorgehen ist, da Wähler:innen nachgesagt wird, in solchen Fällen lieber für das Original als für die Kopie zu stimmen (eine These, die durchaus im Einklang mit einigen Beobachtungen steht). Doch selbst wenn die Strategie, rechtsextreme Positionen zu übernehmen, in dem Sinne „erfolgreich“ ist, dass sie die Zustimmung für Konservative erhöht, handelt es sich trotzdem nicht um ein empfehlenswertes Vorgehen. Denn ein solches Vorgehen kann den Einfluss rechtsextremer Politik stärken, da diese Politik dann nicht mehr ausschließlich von rechtsextremen, sondern auch von (vormals) konservativen Kräften vertreten wird, die dadurch selbst – zumindest in Teilen – zu Rechtsextremen werden.

Zweite Verantwortung: Problemlösung mit rechtsstaatlich-demokratischen konservativen Methoden

Wachsende Zustimmung für rechtsextreme politische Kräfte fällt nicht vom Himmel, sondern hängt auch damit zusammen, dass Menschen konkrete Probleme haben, die aus ihrer Sicht von anderen politischen Kräften nicht ausreichend adressiert bzw. gelöst werden. Rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien sprechen bestimmte Probleme an (wenngleich meist in übermäßig vereinfachter, einseitiger sowie oftmals verzerrender und irreführender Form, wie es für Stereotype typisch ist) und versuchen den Eindruck zu erwecken, dass sie wirksame und vernünftige Lösungen dafür haben. Natürlich muss in vielen Fällen bezweifelt werden, ob die politischen Vorschläge der Rechtsextremen tatsächlich zielführend und überhaupt umsetzbar sind, und auf Grund der eingangs erwähnten massiven Schäden, die durch rechtsextreme Politik typischerweise verursacht wird, ist diese (insbesondere aus rechtsstaatlich-demokratischer und humanistischer Sicht) klar abzulehnen. Dennoch ist es wichtig, festzuhalten, dass tatsächliche Probleme von Menschen einen Nährboden darstellen können, auf dem Zustimmung zu rechtsextremen Kräften stärker gedeihen kann.

Wenn rechtsextreme Kräfte die einzigen sind, die bestimmte Probleme ansprechen und hierfür Lösungsvorschläge in den Raum stellen, dann haben Wähler:innen, die unter diesen Problemen leiden und eine Lösung anstreben, nur zwei Möglichkeiten (sofern sie keine neue Partei gründen). Entweder wenden sie sich den Rechtsextremen zu, die (zumindest scheinbar) wirksame Lösungen für diese Probleme anbieten. Oder sie geben es auf, dass ihre Probleme gelöst werden. Keine dieser Optionen kann in einer rechtsstaatlichen Demokratie gewünscht sein. Und nicht alle Wähler:innen werden sich damit abfinden, dass ihre Probleme ungelöst bleiben, sondern manche werden sich, wenn sie keine wirksame Alternative sehen, den Rechtsextremen zuwenden – auch dann, wenn einige dieser Wähler:innen keine eigenen rechtsextremen Ansichten vertreten. Diese Wähler:innen (die rechts bis rechtsextrem wählen, obwohl sie selbst keine rechtsextremen Ansichten vertreten) nehmen mit ihrer Wahlentscheidung zwar rechtsextreme Politik in Kauf – und sind daher für ihre Entscheidung und deren Konsequenzen verantwortlich -, doch sie streben diese politische Richtung nicht per se an.

Es gibt einige Hinweise darauf, dass dieses Phänomen tatsächlich in vielen Fällen auftritt. So beschreiben sich die meisten Personen, die bei der nächsten Bundestagswahl (2025) die AfD wählen wollen, nicht als politisch „rechts“, sondern als „Mitte“ (52%) oder „Mitte-rechts“ (32%). Das hat eine repräsentative Befragung ergeben, deren Ergebnisse von ZEIT Online veröffentlicht wurden (Quelle). Es kann sein, dass einige dieser Wähler:innen eine Selbstwahrnehmung haben, die nicht mit einer typischen oder begründeten Außenwahrnehmung übereinstimmt. Es kann aber auch sein, dass einige von ihnen tatsächlich keine rechtsextremen Ansichten vertreten und die AfD nur deshalb wählen wollen, weil sie bei den anderen Parteien keine ausreichende Lösung für ihre Probleme sehen.

Ein weiterer Hinweis für diese These ist die relativ geringe Beliebtheit von Spitzenpolitiker:innen der AfD. Obwohl die AfD mit ca. 17% aktuell (Stand April 2024) die zweithöchste Zustimmung von allen Parteien in Deutschland genießt (Quelle), rangiert ihre Vorsitzende Weidel bei der Beliebtheit der wichtigsten deutschen Politiker:innen weit abgeschlagen auf dem letzten Platz; andere AfD-Politiker:innen sind nicht vertreten (Quelle). Es entsteht der Eindruck, dass sehr große Teile der Bevölkerung keine Sympathie für die AfD empfinden und dass einige primär deshalb die Wahl dieser Partei in Betracht ziehen, weil sie den anderen Parteien nicht (oder nicht mehr) zutrauen, ihre Probleme ausreichend zu adressieren und zu lösen.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die Anfang 2021 publiziert wurde, kam zu dem Schluss, dass 29% der AfD-Wähler:innen ein „geschlossen rechtsextremes Weltbild“ besitzen (Quelle). Das ist viel, aber bei weitem nicht die Mehrheit. Wenn diejenigen hinzugerechnet werden, die „latent“ rechtsextrem eingestellt sind, ergibt sich insgesamt ein Anteil von 56% der AfD-Wähler:innen, die latent oder manifest rechtsextrem eingestellt sind (S. 3). Zwar ist dieser Anteil bedenklich hoch und unterstreicht unter anderem die Bedeutung von politischer Bildung. Gleichzeitig lassen sich die Ergebnisse auch so interpretieren, dass die jeweiligen Restmengen – d.h. die AfD-Wähler:innen ohne geschlossen rechtsextremes Weltbild (71% dieser Wählerschaft) bzw. ohne latente oder manifeste rechtsextreme Einstellung (44%) – durchaus von nicht-rechtsextremen politischen Bewegungen erreicht und gewonnen werden könnten.

Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich eine zweite wichtige Verantwortung von Konservativen im Umgang mit Rechtsextremen. Um die Zustimmung zu Rechtsextremen zu beschränken, sollten Konservative den Wähler:innen glaubhaft vermitteln, dass sie ihre Probleme wahrnehmen und lösen wollen. Hierfür sollten konservative Parteien konservative Vorschläge im Rahmen des rechtsstaatlich-demokratischen Spektrums unterbreiten. Diejenigen Wähler:innen, die keine eigenen rechtsradikalen Ansichten vertreten, haben dann keinen Grund mehr, sich rechtsradikalen Kräften zuzuwenden, sondern können ihre Ziele mit Hilfe der (rechtsstaatlich-demokratischen) Konservativen erreichen.

Ein seriöses, sachliches Ansprechen von Problemen aus konservativer Perspektive und die Ausarbeitung von rechtsstaatlich-demokratischen konservativen Lösungen bedeutet nicht, rechtsradikale Positionen zu kopieren oder selbst rechtsradikal zu werden. Denn im Gegensatz zu rechtsextremer Politik bewegt sich rechtsstaatlich-demokratische konservative Politik (definitionsgemäß) im rechtsstaatlich-demokratischen Rahmen. Eine solche konservative Politik ist prinzipiell legitim und ist weder rechtsextrem noch eine Kopie von Rechtsextremen, sondern eine Alternative zu Rechtsextremen – und gerade dadurch eine wirksame Maßnahme, um die Zustimmung zu Rechtsextremen zu begrenzen.

Es kann natürlich legitime Gründe geben, auch rechtsstaatlich-demokratische konservative Politik abzulehnen. Viele weiter links orientierte politische Kräfte legen Argumente gegen konservative Politik vor, und es ist gut und richtig, dass dieser Austausch von Argumenten stattfindet. Doch auch weiter links stehende Personen sollten anerkennen, dass rechtsstaatlich-demokratische konservative Politik nicht illegal und nicht prinzipiell illegitim ist. Und sie sollten vor allem beachten, dass eine starke Präsenz von konservativen politischen Vorschlägen wichtig sein kann, um – wie oben beschrieben – die Zustimmung zur extremen Rechten zu begrenzen. Selbst wenn man jede rechte oder konservative Politik ablehnt, ist ein Erfolg von rechtsstaatlich-demokratischen Konservativen in jedem Fall besser und weniger schädlich als ein Erfolg von Rechtsextremen, denn dieser könnte den Abschied von der rechtsstaatlichen Demokratie bedeuten und die eingangs beschriebenen massiven gesellschaftlichen Probleme zur Folge haben.

Fazit

Im Zusammenhang mit wachsender Zustimmung für rechtsextreme politische Kräfte wird die Frage nach der Verantwortung von Konservativen gestellt. Wie ich in diesem Beitrag beschrieben habe, kommt Konservativen hierbei tatsächlich (unter anderem) eine doppelte Verantwortung zu. Zum einen sollten sie sich von rechtsextremer Politik abgrenzen, indem sie die Zusammenarbeit mit Rechtsextremen vermeiden bzw. sehr achtsam angehen und selbst keine rechtsextreme Politik vertreten, so dass rechtsextreme Politik möglichst nicht umgesetzt wird. Zum anderen sollten sie die Probleme der Wähler:innen ernst nehmen, adressieren und hierfür Lösungsvorschläge mit rechtsstaatlich-demokratischen konservativen Instrumenten ausarbeiten, damit Wähler:innen, die eine konservative Lösung solcher Probleme anstreben, eine Alternative im rechtsstaatlich-demokratischen Rahmen bekommen und sich weniger häufig den Rechtsextremen zuwenden.

Dr. Adam Ayaita, April 2024

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