Die Abschiebephantasie gegenüber Deutschen mit Migrationshintergrund

Wenn über Straftaten berichtet und diskutiert wird, dann wird häufig die Frage nach der Herkunft der Tatverdächtigen gestellt. Die Polizei gibt oft Angaben zur Staatsbürgerschaft heraus. Doch das genügt vielen Beobachter:innen nicht; sie wollen auch wissen, inwiefern bei den Verdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit jeweils ein Migrationshintergrund vorliegt (und, wenn ja, was das ausländische Herkunftsland ist). Die amtliche Definition eines Migrationshintergrunds ist, dass die jeweilige Person oder mindestens ein Elternteil ohne deutsche Staatsangehörigkeit geboren wurde (Statistisches Bundesamt). Eines der Motive für die Frage nach dem Migrationshintergrund, die in diesem Zusammenhang (auch auf Nachfrage) genannt werden, ist, dass man – nach Meinung des Sprechers – Straftäter:innen abschieben könne und solle, falls ein Migrationshintergrund vorliegt. In diesem Beitrag zeige ich, dass die Vorstellung, deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund könnten abgeschoben werden, im Kern eine Phantasie ist.

Es gehört zur Definition einer Abschiebung, dass diese nur Menschen betreffen kann, welche die Staatsbürgerschaft des Landes, aus dem sie abgeschoben werden sollen, nicht besitzen (vgl. z.B. Wikipedia-Artikel zur Abschiebung). Während eine Person die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, kann sie also nicht aus Deutschland abgeschoben werden. Daher können auch Personen mit Migrationshintergrund nicht abgeschoben werden, während sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Die Abschiebung deutscher Staatsangehöriger wäre also nur dann möglich, wenn die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden würde. Grundsätzlich ist ein Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit nach dem Grundgesetz jedoch verboten. Und zwar ist dort geregelt:

„Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.“ (Art. 16 Abs. 1 GG)

Bei Personen, die nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, ist der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft demnach ausgeschlossen, weil die betroffene Person dadurch staatenlos werden würde. Da der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft bei diesen Personen nicht möglich ist, ist auch die Abschiebung dieser Personen unmöglich. Es gibt zahlreiche Personen mit Migrationshintergrund, die nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (auch ich gehöre dazu). Das kommt zum Beispiel dann vor, wenn ein Elternteil deutsch ist und die Eltern darauf verzichten, eine zweite Staatsbürgerschaft anzumelden. Ein weiterer Fall, der zu dieser Situation führt, ist, dass eine Person eingebürgert wird und in diesem Zusammenhang die ursprüngliche, ausländische Staatsbürgerschaft abgibt. In all diesen Fällen ist eine Abschiebung aus den beschriebenen Gründen ausgeschlossen.

Bei Personen, die neben der deutschen auch eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen, ist der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit nach aktueller Gesetzeslage ebenfalls nicht möglich. Denn das Grundgesetz legt ja fest, dass der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit grundsätzlich ausgeschlossen ist und dass für den Verlust der Staatsangehörigkeit ein Gesetz notwendig ist (siehe oben). Es gibt aber aktuell kein Gesetz, das einen Verlust der Staatsangehörigkeit durch Entzug (oder gegen den Willen des Betroffenen) ermöglichen würde; gesetzlich vorgesehen sind lediglich andere Fälle des Verlusts (z.B. in bestimmten Fällen bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit; Deutscher Bundestag). Es ist aktuell also nicht möglich, Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Deshalb ist auch eine Abschiebung dieser Personen unmöglich.

Der Gesetzgeber könnte natürlich ein Gesetz beschließen, das den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft – und damit auch eine Abschiebung – bei Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit in Zukunft ermöglichen würde. Ein solches Gesetz würde zwar dem Grundsatz widersprechen, dass die Staatsbürgerschaft nicht entzogen werden darf, würde aber zugleich nicht im strikten Widerspruch zum Grundgesetz stehen, da dieses einen Verlust der Staatsbürgerschaft gegen den Willen des Betroffenen ja nur dann völlig ausschließt, wenn die Person dadurch staatenlos werden würde (siehe oben). Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es nur dann zulässig wäre, einer Person mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen, wenn diese Person eine vermeidbare Handlung ausführt, die eine Abwendung von Deutschland ausdrückt. Der Gesetzgeber könnte also ein Gesetz beschließen, das in bestimmten, besonderen Fällen den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft bei Doppelstaatsbürger:innen ermöglicht. Doch da es ein solches Gesetz aktuell nicht gibt, ist der Entzug der Staatsbürgerschaft und damit die Abschiebung aktuell auch bei Doppelstaatsbürger:innen nicht möglich.

Bei Personen, die im Verlauf ihres Lebens eingebürgert wurden, ist die Rücknahme der Einbürgerung nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglich, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit durch Täuschung, Drohung oder Gewalt erworben wurde. Ein solcher Fall liegt zum Beispiel vor, wenn eine Person bei der Einbürgerung unwahrheitsgemäß behauptet, dass sie sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekenne. Die Rücknahme der Einbürgerung ist nach aktueller Gesetzeslage bis zu fünf Jahre nach der Einbürgerung möglich. Diese Option des Entzugs der deutschen Staatsangehörigkeit ist also insgesamt nur ein Ausnahmefall. Erstens können viele deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund davon gar nicht betroffen sein, weil sie nie eingebürgert wurden, sondern per Geburt Deutsche sind. Das ist z.B. der Fall, wenn die Person ein deutsches Elternteil hat und dadurch per Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hat. Außerdem erhalten seit der Staatsbürgerschaftsreform von 2000 auch in Deutschland geborene Kinder von zwei ausländischen Eltern unter bestimmten Voraussetzungen per Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Zweitens müsste, wenn eine Person im Verlauf ihres Lebens eingebürgert wurde, die Einbürgerung durch Täuschung, Drohung oder Gewalt erfolgt sein (und dies innerhalb von fünf Jahren aufgedeckt werden), damit die Einbürgerung rückgängig gemacht werden könnte.

Insgesamt kann also festgehalten werden, dass die Vorstellung, deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund könnten abgeschoben werden, im Kern eine Phantasie ist. Eine Abschiebung ist unmöglich, während die betroffene Person die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Bei Personen mit Migrationshintergrund, die nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, ist ein Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft per Grundgesetz ausgeschlossen, so dass auch die Abschiebung nicht möglich ist. Bei Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit gibt es hohe Hürden dafür, die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, und aktuell liegt kein Gesetz für einen Entzug der Staatsbürgerschaft vor; daher ist die Abschiebung dieser Personen aktuell ebenfalls nicht möglich. Bei Personen mit Migrationshintergrund, die eingebürgert wurden, kann die Einbürgerung nur dann rückgängig gemacht werden, wenn sie unrechtmäßig – zum Beispiel durch Täuschung – erfolgt ist, und auch dann nur in einem begrenzten Zeitraum.

Dr. Adam Ayaita, Januar 2023

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